Neues Alzheimer-Medikament – neue Hoffnung für Betroffene?

15. Juni 2021

Am 7. Juni 2021 hat die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA den Wirkstoff Aducanumab (Markenname: ADUHELMTM) zur Behandlung von Alzheimer in den USA zugelassen. Prof. Dr. med. Andreas Fellgiebel, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am AGAPLESION ELISABETHENSTIFT in Darmstadt, gibt Einblicke in die Herkunft und Bedeutung des Medikaments. Er selbst gilt seit vielen Jahren als Demenzexperte.

Aducanumab: Medikament aus der Kategorie der „Impfungen gegen Alzheimer“

Bei Aducanumab handelt es sich um ein Medikament aus der Kategorie der „Impfungen gegen Alzheimer“ Die Behandlung sieht monatliche Infusionen vor. Aducanumab ist ein sogenannter monoklonaler Antikörper gegen das Beta-Amyloid, einem Hauptbestandteil der Alzheimer-Plaques. Die Plaques werden dadurch vom körpereigenen Immunsystem erkannt und abgeräumt. Der Therapieansatz ist nicht neu. Schon 1999 sorgte eine Veröffentlichung zu dem Behandlungsprinzip der „Alzheimer-Impfung“ für großes öffentliches Interesse. Dale Schenk und Kolleginnen und Kollegen konnten zeigen, dass sich die Alzheimer-Plaques von transgenen Alzheimermäusen unter einer Immunisierungstherapie buchstäblich auflösten. Aufgrund dieser Daten entstand damals sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Fachwelt die berechtigte Hoffnung, dass Alzheimer sich wirksam behandeln lasse und es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis Alzheimer-Impfungen für Betroffene zugelassen sein würden.

Studienlage

Über zwei Jahrzehnte gingen ins Land. Die ersten, für den Menschen entwickelten Impfstoffe, waren nicht verträglich. Als Komplikationen traten Hirnentzündungen und einzelne Todesfälle auf. Nachdem einigermaßen verträgliche Substanden zur Verfügung standen, wurde allerdings deutlich: auch beim Menschen lassen sich die Alzheimer-Plaques zwar fast wie bei den Mäusen auflösen, die behandelten Alzheimer-Patientinnen und -Patienten blieben aber dennoch weiter fortschreitend dement, etwa genau wie die Placebo behandelten Kontrollgruppen. Neue Hoffnung gaben Subgruppenanalysen mit sehr leicht betroffenen Patientinnen sowie Patienten, die eine Wirksamkeit nahelegten.

Neue Studien behandelten fortan statt leicht bis mittelschwer Betroffene mit Alzheimer-Demenz nun sehr leicht demente Alzheimer-Patientinnen und -Patienten sowie Patientinnen und Patienten, die (noch) nicht dement sondern nur vergesslich waren, bei denen aber durch Zusatzuntersuchungen die Alzheimer-Pathologie im Gehirn als Ursache bereits sicher nachgewiesen werden konnte.

2016 veröffentlichten Jeff Sevigny und Kolleginnen und Kollegen sehr hoffnungsvolle Ergebnisse der Phase-II-Studie mit dem jetzt zugelassenen Wirkstoff Aducanumab bei sehr leicht betroffenen Alzheimer-Patientinnen und Patienten. Die Alzheimer-Plaques wurden abgeräumt und das Medikament wurde von den meisten Personen gut vertragen. Die mit Aducanumab behandelten Personen waren nach einem Jahr bezüglich der geistigen Leistungsfähigkeit in einem deutlich besseren Zustand.

Es folgten zwei 18-monatige internationale Zulassungsstudien, in welchen über 3000 sehr leicht betroffene Alzheimer- Patientinnen und -Patienten Placebo-kontrolliert mit Aducanumab behandelt wurden. Die Ergebnisse, insbesondere einer der beiden Studien, waren leider nicht so überzeugend wie die der Phase-II-Studie. Dennoch: Das Medikament wirkte und wurde von den meisten Patientinnen und Patienten gut vertragen. So entschied sich die US-Behörde FDA für eine Zulassung unter dem Vorbehalt, dass noch weitere Daten bezüglich Verträglichkeit und Wirkung in der Versorgung erhoben werden müssen.

Neue Hoffnung für Betroffene? Ja, aber…

Zunächst einmal gewinnen wir nach zahlreichen Rückschlägen in der Entwicklung die Zuversicht zurück, dass effektive, krankheitsmodifizierende Medikamente gegen Alzheimer möglich sind. Wenn auch die zu erwartende Wirksamkeit als gering bis moderat einzuschätzen ist - und das nur bei ganz leicht Betroffenen. Auch sollte durch die im Rahmen der Zulassung neu belebte Therapiediskussion deutlich werden, dass der Fokus bei innovativen Therapiebemühungen mehr auf die frühen Stadien der Demenzerkrankung gelegt werden muss, nicht nur in Bezug auf neue Medikamente.

Auch wenn Vergesslichkeit im Alter per se keine Erkrankung darstellt und in einem gewissen Ausmaß normal ist, stellt sie auch ein frühes Zeichen einer Alzheimer-Entwicklung dar. Wir wissen, dass sich schon früh im Verlauf der Erkrankung ein erheblicher Leidensdruck und chronischer Stress bei Betroffenen und ihren Angehörigen aufbaut. Es ist zudem bekannt, dass chronischer Stress ein wesentlicher Faktor für das Entstehen von Erkrankungen ist und auch die Entwicklung der degenerativen Alzheimer-Erkrankung beschleunigt.

Die Diagnostik dieser sehr leichten Verdachtsfälle wird in der Gedächtnisambulanz oder beim spezialisierten Facharzt durchgeführt, um Alzheimer möglichst früh zu erkennen oder Entwarnung zu geben. Im Falle der Erkrankung ist es wichtig, früh zweifach sekundär-präventiv tätig zu werden. Einerseits nicht-medikamentös durch fachliche Begleitung, um den chronischen Stress bei Betroffenen und Angehörigen zu reduzieren und ihre Resilienz zu stärken, um damit eine gute Lebensqualität und Selbständigkeit länger aufrechterhalten zu können. Andererseits mithilfe von zukünftig hoffentlich wirksamen krankheitsmodifizierenden Medikamenten, die den Degenerationsprozess aufhalten oder deutlich verlangsamen können.

Die Firma Biogen hat die Zulassung von Aducanumab für Alzheimer auch bei der europäischen Zulassungsbehörde EMA beantragt. Eine Entscheidung wird in diesem Jahr erwartet.