24. Februar 2015
Zwischendurch können schmerzfreie Intervalle vorliegen. Die Beschwerden werden durch äußere Stimuli, Trigger Mechanismen, ausgelöst, wie Kauen, Sprechen, oder durch Bewegungen der Gesichtsmuskulatur. Die Intensität der Schmerzen wird von Patienten zwischen 8 und 10 auf der visuellen Analogskala (VAS) angegeben.
Nach der Klassifikation der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft (IHS) unterscheidet man zwischen der klassischen (früher idiopathischen) und der symptomatischen Trigeminusneuralgie. Bei der klassischen Trigeminusneuralgie besteht zwischen den einzelnen Schmerzattacken Schmerzfreiheit, wohingegen bei der symptomatischen Trigeminusneuralgie auch zwischen den Attacken ein dumpfes Schmerzgefühl persistiert. Intraoperativ wird bei 70 bis 100 Prozent der Patienten mit einer klassischen Trigeminusneuralgie ein pathologischer Gefäß-Nerven-Kontakt nachgewiesen.
Die Nervenkompression beruht am häufigsten auf einem Kontakt mit der A. cerebelli superior (- 80 Prozent), seltener mit pontinen Venen, der A. cerebelli inferior anterior (AICA) oder A. cerebelli inferior posterior (PICA) und deren Äste. Die Theorie der vaskulären Kompression beruht auf der Annahme, dass durch einen Kompressions-mechanismus (Gefäßpulsation) eine lokale Demyelinisierung der Wurzeleintrittszone des N. trigeminus erfolgt (Jannetta, 1967).
Symptomatische Trigeminusneuralgien treten bei der Enzephalitis disseminata (Multiplen Sklerose) auf, aber auch als Symptom bei Raumforderungen des Kleinhirnbrückenwinkels (Neurinome, insbesondere Akustikusneurinome) oder bei umschriebenen Hirnstammischämien und Angiomen des Hirnstamms.
Epidemiologie
Die klassische Trigeminusneuralgie ist eine Erkrankung des höheren Lebensalters nach dem 40. Lebensjahr. Die jährliche Inzidenz liegt bei 3,4 pro 100.000 für Männer und bei 5,9 pro 100.000 für Frauen. Am häufigsten sind die Äste V2 (18 Prozent) und V3 (15 Prozent) entweder allein oder in Kombination (36 bis 40 Prozent) betroffen. Der isolierte Befall von V1 kommt nur bei 1 bis 5 Prozent der Patienten vor, eine bilaterale Neuralgie kann in 3 bis 5 Prozent der Fälle auftreten.
Patienten mit einer symptomatischen Trigeminusneuralgie sind jünger und haben oft einen Befall von V1 oder bilaterale Neuralgien. Sensibilitätsstörungen im Versorgungsbereich des betroffenen Trigeminusastes sowie fehlende Schmerzfreiheit zwischen den Attacken weisen auf eine symptomatische Genese hin. Etwa 2 Prozent der Patienten mit multipler Sklerose entwickeln eine Trigeminusneuralgie.
Diagnostik
Die Diagnostik umfasst neben Anamnese, Schmerzanalyse, Neurostatus, eine kieferorthopädische, HNO-ärztliche und augenärztliche Untersuchung.
Die MRT Bildgebung dient zum Ausschluss einer Enzephalitis disseminta, eines Tumors oder eines arteriovenösen Malformation im Kleinhirnbrückenwinkels. Der Nachweis eines Gefäß-Nervenkontakts (neuro-vaskuläre Kompression) erfolgt durch eine 3-D-CISS (Darstellung der Hirnnerven im zisternalen Segment, Abb.1), TOF-MRA (Darstellung der Arterien; Abb. 2) und kontrastverstärkte MRA (Darstellung der Arterien und Venen). Es ist hierbei zu berücksichtigen, dass beim Gesunden asymptomatische Gefäß-Nerven-Kontakte vorkommen, diese sind nur im klinischen Kontext als pathologisch zu bewerten.
Die Abbildungen veranschaulichen den engen Kontakt vom Trigeminus (N. V) zum Gefäß * Patientin mit langjähriger Trigeminusneuralgie und einem Gefäß- Nerven-Kontakt zwischen Trigeminus und der rechten A. cerebelli superior im Bereich der Root Entry Zone.
Therapie
Die klassische Trigeminusneuralgie wird primär konservativ behandelt. Angestrebt wird eine Monotherapie bei Therapieresistenz dagegen eine Kombinationstherapie (z. B. Carbamazepin und Baclofen). Die Dosierung erfolgt individuell und wird so lange erhöht, bis Schmerzfreiheit erzielt wird. Mittel der Wahl in der Akuttherapie ist die i. v. Gabe von Phenytoin (Hemmung von Natriumkanälen und damit von Aktionspotentialen). Aus größeren Patientenübersichten ist bekannt, dass etwa 90 Prozent der Patienten mit einer Trigeminusneuralgie initial auf die medikamentöse Therapie gut ansprechen. Langfristig ist bei 50 Prozent der Patienten mit einer Therapieresistenz zu rechnen.
Bei Versagen der medikamentösen Prophylaxe kommen verschiedene operative und perkutane Verfahren in Betracht. Die perkutanen Verfahren machen sich die Punktionstechnik zum Ganglion Gasseri durch das Formen ovale zunutze. Die gezielte Schädigung des sensiblen Ganglion trigeminale Gasseri mit Ausschaltung der weniger stark myelinisierten, schmerzleitenden C-Fasern kann durch Hitze d. h. temperaturgesteuerte Koagulation nach Sweet (1968), durch chemische Substanzen, Glycerinrhizotomie nach Håkanson (1981) oder durch mechanischen Druck – Ballonkompresion (Mullan & Lichtor, 1983) erfolgen. Die perkutanen Verfahren sind mit einer frühen Erfolgsquote von 90 Prozent sehr gut wirksam. Nach zehn Jahren sind 70 bis 80 Prozent (Thermokoagulation nach Sweet) der Patienten deutlich schmerzgelindert oder schmerzfrei. Bei der retroganglionären Glycerinrhizotomie beträgt die Rezidivhäufigkeit nach 10 Jahren etwa 50 Prozent und nach Ballonkompression 25 bis 30 Prozent (Spendel, 2006)
Jannetta (1967) etablierte mit der mikrovaskulären Dekompression des N. trigeminus durch die Interposition eines Muskelkissens oder körperfremdes Material (Teflon) zwischen Trigeminus und dem Gefäß. Die frühe Erfolgsquote von 98 Prozent belegt die Wirksamkeit der Methode. Nach 10 Jahren beträgt die Erfolgsquote 84 Prozent und nach 20 Jahren noch 67 Prozent. Als Nebenwirkung treten in 3 bis 30 Prozent der Fälle Gefühlsstörungen im Trigeminusgebiet sowie in bis zu 5 Prozent der Fälle eine Taubheit auf dem gleichseitigen Ohr auf.
Die Operation der Patienten erfolgt in der sogenannten park bank Position (Abb. 3). Nach Anlage eines etwa 8 Zentimeter langen bogenförmigen Hautschnittes erfolgt eine retromastoidale Kraniektomie von 2,5 x 2 Zentimeter Durchmesser mit Darstellung des Sinus transversus und des Sinus sigmoideus (Abb. 4). Nach behutsamer Retraktion des Kleinhirns, Exposition des Kleinhirnbrückenwinkels unter dem Operationsmikroskop.
Anschließend wird die Eintrittszone des N. Trigeminus am Hirnstamm (Pons) dargestellt (Abb. 5). Das den Nerven komprimierende Gefäß wird mit Hilfe des Mikrodissektors und der Knopfsonde schonend abpräpariert und soweit mobilisiert, dass mehrere kleine Teflon Stücke (3 x 6 Millimeter) zwischen Gefäß und Nerv interponiert werden können. Um eine spätere Luxation der Teflon Stücke zu vermeiden, wird zusätzlich Fibrinkleber aufgebracht.
Radiochirurgische Behandlung
Bei der stereotaktischen radiochirurgischen Behandlung (Gamma-Kneife oder Lina-X-Kneife) wird nach eines MRT-Bildfusion der Zielpunkt im Kleinhirnbrückenwinkel die Wurzeleintrittszone berechnet und anschließend eine singuläre fokussierte Strahlenläsion gesetzt. Die Wirkung dieser Maßnahme – und dies ist ein Nachteil – setzt erst mit einer Latenz von mehreren Wochen ein. Die Vorteile des Verfahrens liegen im niedrigen Risiko. Langzeitergebnissee zeigen, dass nach 5 Jahren 55 Prozent der Patienten schmerzfrei sind. Verglichen mit der mikrovaskulären Dekompression ist die Rezidivquote bei radiochirurgischen Verfahren höher.
Zusammenfassung
Für den Behandlungserfolg der Trigeminusneuralgie ist neben der Auswahl der Patienten und der korrekten OP-Indikation die Operationstechnik entscheidend. Die Vorteile der mikrovaskulären Dekompression im Vergleich zu den destruierenden Eingriffen (Radiochirurgie, Thermokoagulation, Glycerinrhizotomie, Ballonkompression) bestehen in einer intakten Funktion des N. trigeminus und damit Fehlen von Hyp-, Dys- und Parästhesien sowie in der Prävention der gefürchteten Anästhesia dolorosa.
Autorin:
Prof. Dr. med. R. Verheggen,
Abteilung Neurochirurgie – AGAPLESION EV. BATHILDISKRANKENHAUS, BAD PYRMONT